Athen, 17. November 1973: Eine Chronik des Polytechnikum-Aufstandes

Der Aufstand des Polytechnikums im Jahre 1973 war der wütende Ausbruch von kämpfenden und revolutionären Menschen jeder Couleur, der einmal mehr die Rollenklischees und Verunglimpfungen der herrschenden Ideologie überwarf.

Es handelte sich hierbei weder um ein isoliertes noch um ein zufälliges Ereignis. Es war vorbereitet und kündigte sich durch organisierte Studentendemonstrationen, Arbeiterproteste und gesellschaftliche Kämpfe während in den Jahren der militärischen Junta an.

Eine Zusammenfassung von zentralen Ereignissen bis zum 17. November 1973:

1972: Das Regime setzt manipulierte Studentenwahlen an, die größere Spannungen hervorrufen. Die Regierung versucht weiterhin durch die Aussetzung der Befreiung vom Militärdienst für Studenten eine Stimmung der Unterdrückung zu schaffen.

14.2.1973: Während einer Studentenveranstaltung, die sich gegen die neuen Maßnahmen richtete, dringen Cops in das Polytechnikum ein; sie unterdrücken und foltern die Anwesenden und nehmen viele StudentInnen fest. 11 von ihnen werden vor Gericht gestellt.

21.2.1973: StudentInnen aller Universitäten Athens besetzen nach einer Demonstration durch das Stadtzentrum die Rechtsuniversität und rufen zu einer  Vollversammlung auf, an der mehr als 5000 StudentInnen teilnehmen. Die Junta versucht, faschistische Provokateure einzuschleusen, um die Versammlung zu stören. Sie werden von der Studentenschaft, unter der sich viele Anarchisten befanden, zurückgewiesen. Das „Besetzungskomitee“ kommt mit dem Rektor dahingehend überein, die Besetzung zu beenden und beschließt eine zehntägige Aussetzung von Kundgebungen ohne Kenntnis der Vollversammlung. Mehr als 30000 Menschen demonstrieren im Stadtzentrum Athens und geraten mit der Polizei aneinander. In den folgenden Tagen wurden weitere Versuche für Demonstrationen und Besetzungen unternommen. Dem steht jedoch die harte Repression der Junta gegenüber.

20.3.1973: Versuchte Besetzung der Rechtsuniversität von 2000 Menschen. Das Einschreiten der Polizei mit Unterstützung von Faschisten verhindert dies, brutales Vorgehen führt zu dutzenden von Verletzten und mehr als 100 Menschen werden verhaftet. All dies fand statt, nachdem vier Tage zuvor ein weiterer Versuch unternommen wurde, die Rechtsuni einzunehmen.

1.11.1973: Die Junta gibt ihre Entscheidungen bezüglich studentischer Anträge bekannt und gräbt sich selbst dabei ein noch tieferes Grab.

14.11.1973: Eine große Anzahl von Menschen besetzt die Polytechnische Universität trotz massiver Polizeipräsenz und der Opposition aus Parteiorganisationen. Unter den Versammelten befindet sich ca. 1500 Menschen, die, während sie sich von der Rechtsuni zum Polytechnikum bewegten, in der Solonos Str. von Cops angegriffen wurden. Die Art und Weise, wie die Zeitung der Kommunistischen Jugend über die Besetzung berichtet, zeigt uns am deutlichsten und in abscheulichster Art die Position der Kommunistischen Partei in der gesamten Nachkriegsgeschichte Griechenlands bis heute:

„Wir verurteilen den vorsätzlichen Einfall am Mittwoch, den 14. November, im Athener Polytechnikums durch 350 organisierte Provokateure des griechischen Geheimdienstes … beauftragt von der Spitze der Junta, Papadopoulos, und des amerikanischen CIA, der die Absicht hatte, durch lächerlichen anarchistischen Parolen und Slogans, die nicht den Geist der Zeit und spezielle Kräfte repräsentieren, zu tyrannisieren und provozieren.“

Die Junta berichtet in derselben Tonart über den „Mob und die anarchistischen Minderheitsaktivitäten.“
Vor der Uni kämpfen Bürger mit den Cops. StudentInnen, die zur Kommunistischen Jugend gehören und Teile anderer kommunistischer Parteien, fordern die versammelten StudentInnen auf, das Gelände der Uni zu verlassen.
In dem überfüllten Auditorium des Ginis-Gebäudes versammeln sich Arbeiter in einem eindeutig antikapitalistischen Umfeld. Zwei Stellungnahmen von Arbeitern, ein linker und ein anti-autoritärer, werden hinsichtlich der Schaffung von Fabrikstreikkomitees und Arbeiterräten in Hinblick auf eine längerfristige Entwicklung gemacht. Das Plenum war jedoch aufgrund einiger Meinungsverschiedenheiten und der Intervention einer kleinen Gruppe von Studenten noch nicht beendet. Sie versuchte der Besetzung den Anschein eines Studentenprotestes zu geben. Aus „Sicherheitsgründen“ versuchte der Schutz, den Eintritt für Nicht-Studenten zum Polytechnikum zu verhindern ohne nennenswerten Erfolg. In dem gleichen Zusammenhang zerstörte er die (Kassetten)Aufzeichnungen der Versammlung.

15.11.1973: Das Treffen vom vorherigen Tag wiederholte sich, aber es stellte sich dieses Mal als eine Farce heraus. Im Raum waren fast keine ArbeiterInnen anwesend. Der Verkehr in der Patission Str. wurde angehalten, die Busfahrer hinterließen ihre Fahrzeuge vor dem Polytechnikum und versahen sie mit Parolen, die auf sie auf Papier schrieben und auf dann auf die Fahrzeuge klebten. Viele Schüler schlossen sich der Besetzung des Polytechnikums an, nachdem sie die Polizeiabsperrung durchbrachen. Mitglieder von studentischen und politischen Parteien beschließen auf einem eigenen Treffen die Evakuierung des Polytechnikums – in der gleichen Art und Weise, wie sie es bereits bei der Besetzung der Rechtsuni getan haben: Angst einjagen, bedrohliche Gerüchte verbreiten, die Armee würde eingreifen, und schließlich der Öffnung der (Universitäts-)Tore in genau dem richtigen Augenblick. Das sind genau dieselben Menschen, die sich bis heute für ihr Engagement in der Rebellion rühmen…

16.11.1973: Ein „Industrieaktionskomitee“ wurde gewählt mit der Absicht, die ArbeiterInnen zum Streik aufzurufen. Dieses Komitee wird jedoch nie aus der Uni herauskommen. Gemeinsam mit dem Koordinationsausschuss gaben sie Mitteilungen mit Parolen gegen Preissteigerungen heraus. Während der Nacht wurden die ersten Tränengasgeschosse abgefeuert und die Vollversammlung des besetzten Polytechnikums wurde aufgelöst. Kurz zuvor zwang ein großer Protestmarsch die Polizei zum Rückzug. Barrikaden aus einer Vielzahl von Fahrzeugen wurden auf der Alexandras Allee errichtet, welche kurze Zeit später der Übermacht der Panzer der Armee gegenüberstanden, die sich auf die Uni zubewegten.

17.11.1973, in der Morgendämmerung: Die Panzer der Armee dringen in das Polytechnikum ein, indem sie die Haupttore einreißen und verletzen die Menschen, die sich in genau jenem Momente auf ihnen befinden, schwer. Der Einmarsch der Spezialeinheiten des Militärs und der Polizei erfolgt direkt im Anschluss und das unmittelbare Blutbad fordert mehr als 100 Menschenleben und ist verantwortlich für etliche Verletzungen inner- und außerhalb des Polytechnikums.
Für zwei Tage bekommt das Stadtzentrum die brutalste und blutigste Repression seit dem Bürgerkrieg zu sehen. Wenige Monate später wird die Junta die Macht an ihre Zwillingsschwester weitergeben – die parlamentarische Demokratie.

Hier der Text auf Griechisch.

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