Griechenland: Breitet die Revolte aus!

12. Februar 2012: 67 Jahre nach dem Abkommen von Varkiza und dem Verrat von bewaffneten Kampf und tausenden Kämpfenden im Bürgerkrieg unternehmen die Menschen einen erneuten Versuch, dieses Abkommen zu durchbrechen und sich in einen schonungslosen gesellschaftlichen Klassenkampf zu begeben.

* mit etwas Verspätung dokumentieren wir die Erlebnisse von GenossInnen nach der dreitägigen Mobilisierung gegen das zweite Memorandum im Februar diesen Jahres. Weitere Impressionen können in der Bildergalerie auf unserem englischsprachigen Blog eingesehen werden.

Zuerst sollten wir klar machen, dass es unmöglich ist, in Worten auszudrücken, was wir am 12. Februar auf den Straßen erlebt haben. Die Straßenkämpfe in Athen und anderen griechischen Städten erreichten das Level eines Aufstandes, da die Wut der Menschen an vielen Orten gleichzeitig ausbrach und es unmöglich machte, jede einzelne der unzähligen Aktionen des Aufruhrs aufzuzeichnen. Wir werden jedoch versuchen, einige Szenen in Athen hervorzuheben, wie wir sie auf den Barrikaden erlebt haben und wie wir sie von unseren GenossInnen in verschiedenen Gegeninformationsforen berichtet bekommen haben

Syntagma am Nachmittag: “Bullen, Schweine, Mörder”

Ungefähr 500.000 Menschen gingen am letzten Sonntag [12.2.] auf die Straßen in Athen, es war der dritte Tag der landesweiten Anti-Austerität Mobilisierung. Es war eine bunte Masse: Mensch konnte von patriotischen Narren – sowohl von links als auch von rechts – bis zu den StalinistInnen der PAME und der trotzkistischen Fraktion beobachten. Auch mischten sich viele Menschen mittleren Alters unter die Masse, ohne einem spezifischen Block anzugehören. Weiterhin bestand die Masse aus Ultras, GewerkschafterInnen, Angehörige der Volksversammlungen, MigrantInnen, Aufständischen und wilden Jugendlichen, AnarchistInnen, libertären Individuen und Gruppen. Der Protest war in viele verschiedene Teile verteilt. Massive Polizeikräfte schossen wiederholt Tränengas auf uns, als wenn wir Kackerlaken wären, die dazu bestimmt sind, getötet zu werden, weil Mächtigen allergisch gegen uns sind. DemonstrantInnen blieben draußen vor dem Parlamentsgebäude und riefen Anti-Repressions-Parolen. Viele Schritte vor und zurück, zurück und voran, die Zusammenstöße auf geringerem Level hervorriefen. Der Klang und der Gestank der Blendgranaten und der Chemikalien machten das gesamte Feld zu einem Käfig. Viele von uns waren nicht scharf darauf zu sein, sofort zurückzuschlagen und das Bordell der Demokratie massenhaft anzugreifen.

Rechtsfakultät: We went down, down, down, and the flames went higher

Eine Barrikade wurde an der Kreuzung Panepistimiou/Voukourestiou  errichtet. Der Boden war übersät mit Materialien des Kampfes, der kurze Zeit zuvor stattgefunden hat. Die Fassaden auf beiden Seiten der Straße wurden zerstört oder teilweise beschädigt. Viele DemonstrantInnen formierten sich in Richtung Syntagma und viele andere gingen in den Bezirk Kolonaki, während einige hinter den Barrikaden blieben und Richtung Propylea guckten (ca. 200 m entfernt), wo 500-600 AnarchistInnen, Autonome, Aufständische und Proletarier einen wilden Kampf mit der Armee der Riotcops, die den Zugang zum Syntagma-Platz versperrten, führten. Mensch konnte die Explosionen der Molotov-Cocktails – viele wurden mit Dynamit verstärkt – und die Schockgranaten überall hören. Die Oberfläche der Straße war gefüllt mit Steinen und ausgebleicht durch das Tränengas. Nach und nach sprach sich herum, dass Zusammenstöße und Brandstiftungen in großem Stil in den Straßen von Syntagma bis Omonia, von Solonos Str. bis ins Gebiet von Monastiraki durchgeführt wurden. Es war jedoch unmöglich einen Gesamtüberblick über die stattfinden Riots zu erhalten. Nachdem wir uns der besetzten Rechtsfakultät anschlossen, wurde ein dringender Aufruf über das Lautsprechersystem verkündet. “Es müssen mehr Menschen in Akadimias Str. bleiben und die Cops fernhalten, um den sicheren Rückzug jener zu gewährleisten, die in der Nähe der Propylea kämpfen.” Das waren mehr oder weniger öffentliche Mitteilungen, die von der besetzten Rechtsfakultät zu jener Zeit neben Musik übertragen wurden.

Polizeigruppen griffen schonungslos die Aufständischen an, die in der Akadimias Str. ausharrten und verteidigten die Massalias Str. und der Seiteneingang des Gebäudes [der Rechtsfakultät]. Mehr als zwei Stunden lang schossen die Schweine Gas, Schockgranaten und Gummigeschosse und warfen wiederholt Stein auf uns als wir versuchten das besetzte Gebäude mit allen Mitteln zu halten. Über 200 wütende, vermummte Jugendliche – jene Menschen, die oft als ‘gewalttätige Minderheit’ von den ReformistInnen und Reaktionären verachtet werden, hielten weiterhin die Stellung und kämpften in Würde. Diese ‘Minderheit’, die die Grundlagen der kapitalistischen Zivilisation in Brand setzt, blieben die wichtigste Basis des Kampfes während der kritischsten Momente des Tages, indem sie Protestierenden im Zentrum Schutz gewährten. Es gab viele ältere DemonstrantInnen, die mit Gasmasken durch die Massalias Str. gingen und die Jugendlichen vorantrieben, sich zu erheben und zu kämpfen.

Wir zogen später zur Stadio und Panepistimiou Str. weiter und überquerten die Akadimias Str. erneut. Es war mehr als deutlich, dass sich die DemonstrantInnen weigerten, von den Straßen geräumt zu werden – trotz der offensichtlichen Repression. Viele von uns bekamen ein Gefühl dafür, dass es eine routinemäßige Akzeptanz gab für all das gab, was sich vor den Augen der Menschen abspielte – lärmende Alarmananlagen, zerstörtes Eigentum, geplünderte Läden, wütende Zusammenstöße, in Flammen aufgehende Gebäude… Ein paar Momente fühlten sich einzigartig an, unvergesslich. Die Besetzung der Rechtsfakultät endete in den frühen Morgenstunden am Montag, dem 13.2. Mit all ihren Vor- und Nachteilen war sie während jener Tage (9.-13.2.) eine Festung und integraler Bestandteil der Straßenkämpfe.

Videomaterial vom ersten Tag der Proteste (10.2.) auf dem Syntagma-Platz mit Polizeieinheiten… die ihr Vertrauen in sich selbst verlieren

Information wie diese sind wie ein Wirbelwind bis zu diesem Tag > Athen – Hunderttausende Menschen jeden Alters und unterschiedlichen Hintergrunde auf den Straßen; intensive Zusammenstöße bis in den frühen Morgen; die Menge war entschlossen; Randalierer stürmen und zünden mehrere Banken, administrative Gebäude, städtische Kulturzentren und Konsumtempel, Schmuckläden, multinationale Kaffeehäuser und Kleidungsshops an; viele verletzte Protestierer; Verhaftungen; Überall Tränengas; zentrale Polizeistation angegriffen; ausgiebiges Plündern; körperliche Gewalt; besetzte Rathäuser in mehreren Vororten > Volos – Meuterei im Jugendknast; außergewöhnliche Szenen in Zentrum; Bank niedergebrannt; Riots, Steuerbüro gestürmt; Verhaftungen; Jugendliche jagen Cops; zwei Mädchen wurden gedrungen ins Meer zu springen > Korfu – Menschen stürmen Büros der Abgeordneten Gerekou und Dendias > Thessaloniki – umfassende Riots, Polizeiangriffe > Rethymno, Kreta – besetztes Rathaus, große Demo, Molotov-Cocktails, Banken angegriffen > Agrinio – Protestierende stürmen das Büro des Vize-Entwicklungsministers Moraitis; viele Mneschen wurden bei einer Versammlung auf dem zentralen Platz festgehalten > Trikala – Banken mit Hämmern zerschlagen; unbekannte Anzahl von Festnahmen > Larissa – große Demonstration; das Präfekturgebäude für Stunden besetzt; Streifenwagen mit Steinen angegriffen; neue Demo für nächsten Tag angekündigt > Chania, Kreta – riesige Demo; Präfekturgebäude besetzt > Veria – über 200 TeilnehmerInnen an der Demo; Parolen an die Wände der Stadt gesprüht > Patras – umfassende Riots > Rhodos – Rathaus besetzt > Serres – fast 200 Menschen auf den Straßen > Kavala – Präfekturgebäude besetzt > Kozani – ungefähr 80 Menschen auf den Straßen trotz Kälte und Schnee; Parolen an Bänken gesprüht > Sitia, Kreta – Bank angezündet > und während Anonymous die von der Regierung betriebenen Homepages außer Betrieb nahm, stimmten die Abgeordneten im Parlament mit “ja zu allen”

Kurz nach Mitternacht: Welch ein Februar – voll von Frost, Sturm und Bewölkung

Die bürgerliche Verarsche endete als 199 der Abgeordneten für das zweite Sparpaket zwischen dem griechischen Staat und der Troika (EU/EZB/IWF) abgestimmt haben und damit den härtesten Einsparungsmaßnahmen zustimmten und ein weiteres Mal die Menschen zur Verarmung verdammten. Die verdammte Presse des Regimes verbreitete Verleumdungen gegen AnarchistInnen, Antiautoritäre und Aufständische, während Alexis Tsipras, Parteivorsitzender der Koalition der ‘radikalen’ Linken, die sogenannten ‘halbstaatlichen Kräfte’ beschuldigte, das Zentrum Athens abebrannt zu haben. Während die Lakaien der Macht wie der Bürgermeister Giorgos Kaminis unmissverständlich Straßenkämpfe, dunklen Rauch von dutzenden von Gebäuden in der Großstadt verurteilten, sendeten wir eine Nachricht des Widerstandes und des Ungehorsams an die Welt.

 Ein älterer Mann wird von DELTA Polizeieinheiten in der Ermou Str. im Zentrum Athens geschlagen (12.2); PassantInnen, die den Krankenwagen vor Ort riefen, gaben an, dass die Cops den Mann auch mit Schlagstöcken schlugen.

http://www.youtube.com/watch?v=P9Ne4TgNWw0

Der Tag danach: Kerzen für Ruinen, U-Haft und Mediengleichklang

Am nächsten Morgen und nach vielen Stunden, in denen die ArbeiterInnen der Feuerwehr versuchten, die Flammen der Freiheit zu löschen, wurde eine Trauerphase eingerichtet, wo BürgerInnen eifrig Kerzen an den Ruinen ablegten. Diese Heuchelei ist nicht in Worte zu fassen. Athen scheint brennende Narben zu haben, mit einer Flut von bürgerkriegsähnlichen Szenarien, die in den Medien die ‘Normalität’ sehr fragil erscheinen lassen. Wir wissen genauso gut wie die Mächtigen, dass die Flammen in den Straßen des 12. Februar hoch schlugen, Flammen, die vielleicht andere Feuer weltweit zum Brennen bringen. Wenn diese kurze rebellische Manifestation sich nicht über Staagrenzen ausbreitet, wird sie uns nicht rechtfertigen. In der gegenwärtigen Zeit, mitten in einer weiteren Runde von Protesten, sind internationaler Solidarität und Unterstützung wichtiger als je zuvor. Solidarität mit den Kämpfen in Griechenland heißt, die Infrastruktur von Staat und Kapital direkt anzugreifen, die sich oft in Fußnähe von deinem Zuhause befinden. Es ist wichtig zu sagen, dass jedeR, die / der faktische Solidarität zeigen will, nicht behaupten kann “Ich bin auch GriechIn” oder “Wir sind alle GriechInnen”. Die einzige Solidarität, die unserem Kampf helfen kann, muss sich gegen jede Nation und Patriotismus richten und die staatlichen Strukturen und seine UnterstützerInnen angreifen; die Idee der Freiheit an jedeN verbreiten. Gegenseitige Hilfe bedeutet, dass wir alle nicht GriechInnen sind; wir gehören keinem Staat an, besitzen keine Nationalität; wir sind, was unsere revolutionäre Solidarität nach und nach aus uns machen wird.

Solidarität mit allen, die verfolgt werden; alle, die eingekerkert wurden; und alle, die während der Straßenkämpfe gegen den Abschaum der Gesetzesdurchsetzer verletzt wurden

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